Montag, 1. Oktober 2012

Rabanal de Camino

Hallo ihr Lieben,

ich sitze gerade mitten in den Montes de Leon in Rabanal de Camino. Einem kleinen Bergdorf (mit Internet ;-)). Die Herberge heisst Pilar und hat einen wunderschoenen Innenhof mit Blumen en masse und einer schoenen Theke ;-).

Ich habe heute unterwegs wieder Jamie und Jessie getroffen und nun sind wir alle hier gelandet. Wir hatten gestern noch einen netten Abend in Astorga. Wir haben in einer Herberge geschlafen, die ein 300 Jahre altes Adelshaus ist. Das hatte die Konsequenz, dass ich gestern Abend alle wach gemacht habe, als ich mich in den Schlafsaal schleichen wollte. Erst die Tuer"quiiiiiiiiiietsch" und dann die Bodendielen. Ich hatte erst ein total schlechtes Gewissen. Das hat sich aber gelegt, als nachts alle 5 Min. jemand auf die Toilette ging und das gleiche Quietschen verursachte. Wir hatten zwar keine Schnarcher im Zimmer. Schlecht geschlafen habe ich dadurch aber trotzdem.
Heute morgen war dann intensiver SMS-Wechsel und telefonieren mit Guido angesagt, der ja gestern in Burgos gestrandet war. Er ist heute Nachmittag in Astorga angekommen und laeuft jetzt irgendwo in den Bergen. Ich hoffe, er findet vor Einbruch der Dunkelheit eine Herberge oder war so schlau, sich fuer die ersten km nach hier ein Taxi zu nehmen. Mit etwas Glueck koennen wir dann morgen zusammen gehen.

Der Weg heute war wieder wunderschoen. Ich liebe die Strecke durch die Montes de Leon. Natur pur.
Ich bekomme dieses Mal aber irgendwie nicht so richtig den Kopf frei. Ich hoffe, das kommt noch.
Die Caminogeschichten funktionieren aber noch genauso, wie letztes Mal. Jeder weiss ueber die Pilger zu berichten, die unterwegs sind. Es ist wie im Mittelalter, als die fahrenden Haendler durch die Doerfer kamen und alles per Mundpropanda laeuft. Im Moment ist ein Mann aus den USA unterwegs (zusammen mit seinem Freund), der wahrscheinlich durch den Film The Way (der deutsche Titel lautete "Dein Weg") inspiriert wurde. Seine Frau (Schottin) starb vor einigen Wochen und er traegt ihre Asche ueber den Camino und streut sie an schoenen Stellen aus. Anschliessend bringt er den Rest nach Schottland, um sie dort zu beerdigen (oder das, was noch uebrig ist). Seine Frau liebte teure Kleidung. Also sind er und sein Freund in Pamplona in die teuerste Designerboutique gegangen und haben heimlich dort auf dem Teppich ihre Asche verstreut. Obwohl er naturgemaess sehr traurig ist, macht er solche verrueckten Sachen. Ich finds grossartig.

Gestern Abend habe ich mich noch mit Mutter und Sohn aus Amerika unterhalten. Auch sie sind aufgebrochen, nachdem sie den Film gesehen haben. 2 Wochen danach sind sie los. Wie fast alle Amerikaner hier :-). Und das obwohl der Film auch in Amerika nur in ausgewaehlten, kleinen Kinos gezeigt wurde. Wahrscheinlich sind ALLE Amerikaner, die den Film gesehen auch, nun auch auf dem Camino :-).

Jessie und Jamie, auf die ich z. Zt. immer wieder treffe kommen aus Australien. Sie sind Anfang 20 und haben sich ein Visum zum Arbeiten in Grossbritannien besorgt. Vorher wollen Sie noch Europa erkunden. Sie waren schon in Paris, Hamburg, Bruessel und sind voellig unvorbereitet auf den Camino geflogen. Mit Turnschuhen!!!!! Ohne Reisefuehrer oder Wanderausruestung. Und dass, obwohl Jessie mir erzaehlt hat, dass sie zuhause eigentlich super organisiert ist und z. B. niemals ins Bett geht, bevor nicht alles aufgeraeumt ist. Und eigentlich war sie auch immer aengstlich. Nun hat sie diese Angst ueberwunden und hat einfach den Schritt fuer diese Europareise gemacht. Sie sprueht vor Lebensfreude und das ist total ansteckend. Wir sind viel am Lachen und sie quatscht jeden (einschl. jeden Hund) an.
Als sie vorhin einen alten Mann ansprach, der in einem verwilderten Garten arbeitete, stellte sich heraus, dass es sich um einen der Moenche handelt, der hier in Rabanal seit 1 1/2 Jahren lebt.
Vorher war er in Nicaragua. Da er Deutscher ist, konnten wir uns eingehend unterhalten.
Es hat sich dann auch aufgeklaert, warum er im Blaumann in diesem verwilderten Garten war.
Es gab dort Nuesse und die wollte er nicht verkommen lassen und sammelt sie, weil sich keiner um das Stueck Land kuemmert.

Das war wieder so eine Situation, in der ich ueber unsere Verschwendung nachgedacht habe. Schon in Hospital de Orbigo in der netten Herberge, die aus dem eigenen Garten gekocht hat, haben wir lange darueber diskutiert, wie wertlos Essen fuer alle geworden ist. Wir haben unsere verschiedenen Laender verglichen (Neuseeland, Amerika, Kanada und Deutschland) und uns gegenseitig erzaehlt, wie es mit dem Fast Food und so dort aussieht. Ich konnte zumindest das Vorurteil ausraeumen, dass wir Deutschen jeden Tag Bratwurst essen :-)).

Auch heute habe ich beim Laufen wieder lange darueber nachgedacht. Es wird einem hier bewusst, wie wertvoll Essen ist. Wenn man das Gefuehl hat, dass die Beine und Fuesse schwer werden und man setzt sich hin und isst eine Handvoll Nuesse oder trinkt einen frischgespressten Orangensaft, dann merkt man, wie schnell die Kraefte zurueckkehren, also wie der Koerper direkt darauf reagiert.
Natuerlich faengt man dann auch an, darueber nachzudenken, dass der Koerper ja auch auf alles andere (Junkfood etc.) genauso reagiert, nur man nimmt es im Alltag nicht so direkt wahr.

Tja...also doch schon was zum Nachdenken auf dem Camino. Ich muss jetzt enden, da wir um 19 Uhr von dem Moench zur Vesper eingeladen wurden und Jessie oder Jamie duerfen die Lesung auf Englisch halten und beide schlafen noch. Ich muss sie jetzt erstmal wecken ;-)).

Die Messe wird wieder Lesungen in saemtlichen Sprachen, der anwesenden Pilger enthalten. Das ist immer wunderschoen. Da verschwinden Grenzen. Es kann eigentlich so einfach sein.

Ich wuensche Euch noch einen schoenen Tag.

Ultreia

Silla

4 Kommentare:

  1. naja also mal wirklich... Caminogeschichten entsprechen ja nich immer der 100%igen Wahrheit...Für mich klingt das doch sehr nach einen Drehbuch. Dir weiterhin einen guten Lauf und grüß mir Rabanal!

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    1. Hannah du weisst doch, das Leben schreibt die besten Drehbuecher ;-)

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  2. Liebe Silvia,
    danke für deine Berichte vom Camino. Wir wünschen dir weiterhin tolle Erfahrungen und dass der Kopf frei wird...
    Grüße auch an Guido!

    Aus Münster alle guten Wünsche und Gottes Schutz und Segen für euch beide,
    Michael und Mechthild

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  3. Also so wie ich Guido kenne, wird demnächst in Deinem Kopf eher das üblicher Weise nach Alkoholkonsum eintretende Rauschen einsetzen... davon bekommt man eher einen schweren, als einen freien Kopf. Wir verfolgen Deinen Blog. Lauf weiter und denk an die Kerze. Wir sagen Dir dann, wann - wo - und für wen :o)

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